Assistenzhundeverordnung: Probleme bei der Umsetzung in der Praxis
Die gute Idee hinter der Verordnung – und warum sie in der Realität oft nicht greift
Mit der Assistenzhundeverordnung (AHundV) hat der Gesetzgeber 2022 einen wichtigen Schritt in Richtung Teilhabe und Inklusion unternommen. Die Verordnung regelt bundeseinheitlich, was einen Assistenzhund ausmacht, wie die Ausbildung abläuft, wer prüfen darf – und welche Rechte Betroffene mit ihrem Hund haben. Klingt nach Klarheit und Fortschritt. In der Praxis zeigt sich jedoch: Es hakt an vielen Stellen. Für Betroffene, Ausbildungsstätten, Sachverständige und Behörden stellt die Umsetzung eine erhebliche Herausforderung dar.
In diesem Beitrag werfen wir einen kritischen Blick auf die AHundV – und zeigen auf, warum gute Intentionen nicht automatisch zu guter Praxis führen.
Was regelt die Assistenzhundeverordnung?
Die AHundV ist am 1. März 2023 in Kraft getreten. Grundlage ist § 12e SGB V, der Menschen mit Behinderungen das Recht auf die Begleitung durch einen Assistenzhund zusichert. Ziel ist es, die Gleichstellung zu fördern und Barrieren im Alltag abzubauen – etwa in öffentlichen Verkehrsmitteln, Behörden oder Gesundheitseinrichtungen.
Die Verordnung definiert u.a.:
- Assistenzhundearten (z. B. Blindenführhund, Signalhund, Mobilitätsassistenzhund, PSB Assistenzhund
- Anforderungen an die Ausbildung
- Ausbildung durch zertifizierte Ausbildungsstätten
- Prüfung durch akkreditierte Prüfstellen
- Rechte und Pflichten der Halter:innen
Anerkennungsverfahren durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS)
Mehr Infos dazu direkt beim BMAS oder im Verordnungstext.
Wo es klemmt: Die größten Herausforderungen in der Praxis
1. Fehlende Prüfstellen
Ein zentrales Problem der Assistenzhundeverordnung ist die nicht gegebene Umsetzungsmöglichkeit der gesetzlich vorgesehenen Prüfungen. Zwar sieht die AHundV vor, dass Assistenzhundeteams von Fachprüfern einer zertifizierten Prüfstelle geprüft werden müssen – doch in der Praxis fehlt es an zertifizierten Prüfstellen.
Aktuell ist lediglich die ZertBau GmbH von der DAkkS (Deutsche Akkreditierungsstelle) als Prüf- und Zertifizierungsstelle für Assistenzhundeteams akkreditiert worden. Allerdings gilt diese Akkreditierung nur unter der Voraussetzung, dass die geprüften Teams von ebenfalls zertifizierten Assistenzhund-Ausbildungsstätten stammen. Da es solche Ausbildungsstätten bislang nicht gibt, kann ZertBau in der Praxis keine Prüfungen abnehmen – obwohl sie formal zugelassen wären.
Zudem hat die ZertBau laut eigener Aussage im März 2025 angekündigt, ihren Akkreditierungsantrag an die DAkkS zurückzugeben (Quelle) – was die Lage weiter verschärft.
Diese rechtlich absurde Situation führt dazu, dass:
- keine zertifizierten Prüfungen stattfinden können,
- Sachverständige und Ausbildungsstätten keinen gangbaren Weg zur offiziellen Anerkennung haben,
- Betroffene mit einem fertig ausgebildeten Assistenzhund keinen Zugang zur gesetzlich vorgeschriebenen Zertifizierung erhalten.
2. Ende der Übergangsregelung – rechtliche Unsicherheit für betroffene Teams
Ein weiterer kritischer Punkt in der Umsetzung der Assistenzhundeverordnung: Die Übergangsregelung ist ausgelaufen – ohne dass eine tragfähige Anschlusslösung existiert.
Gemäß der AHundV konnten Mensch-Assistenzhund-Gemeinschaften, die ihre Ausbildung vor dem 1. Juli 2023 begonnen hatten, ihre Prüfung bis spätestens 30. Juni 2024 nach den Übergangsregelungen absolvieren. Dieses Zeitfenster ist nun abgelaufen.
Wichtig: Nach dem 30. Juni 2024 absolvierte Prüfungen können derzeit nicht anerkannt werden, selbst wenn sie inhaltlich den Anforderungen der AHundV entsprechen.
„Die Übergangsregelung ist am 30. Juni 2024 ausgelaufen. Nach diesem Datum absolvierte Prüfungen können derzeit nicht anerkannt werden.“ (BMAS, FAQ zur AHundV)
Das BMAS erkennt an, dass manche Mensch-Hund-Teams ihre Prüfungen nicht fristgerecht abschließen konnten. Ein offizielles Verfahren zur nachträglichen Anerkennung befindet sich laut BMAS in Prüfung – es gibt jedoch noch keine Lösung oder rechtlich abgesicherten Handlungsspielraum. Bis dahin gilt die Empfehlung, keine Prüfungen mehr durchzuführen, solange der neue Prüfweg nicht bekannt ist.
Für Betroffene bedeutet das:
- Sie dürfen ihren Hund aktuell nicht offiziell als Assistenzhund prüfen lassen,
- haben keinen Zugang zu rechtlich verankerten Nachteilenachgleichen,
- und befinden sich in einem rechtlichen Schwebezustand, der Ausbildung, Lebensgestaltung und Teilhabe massiv beeinträchtigt.
Diese Lage betrifft nicht nur Einzelpersonen, sondern auch Ausbildungsstätten und potenzielle Prüfer:innen, die ihre Arbeit nicht fortsetzen können, obwohl die gesetzlichen Grundlagen grundsätzlich vorhanden wären.
3. Keine zertifizierbaren Ausbildungsstätten – faktisches Ausbildungsverbot
Ein besonders gravierendes Problem bei der Umsetzung der Assistenzhundeverordnung betrifft die sogenannten Ausbildungsstätten – also Assistenzhundschulen, die Mensch-Hund-Teams professionell auf ihre Aufgaben vorbereiten sollen.
Laut AHundV müssen Ausbildungsstätten zertifiziert sein, damit ihre Absolvent:innen zur Prüfung zugelassen werden. Doch: Aktuell kann sich keine Assistenzhundschule zertifizieren lassen.
Die Deutsche Gesellschaft zur Präqualifizierung im Gesundheitswesen GmbH (DGP) war zunächst als Zertifizierungsstelle für Ausbildungsstätten von der DAkkS (Deutsche Akkreditierungsstelle) anerkannt. Doch nach zahlreichen praktischen und strukturellen Hürden gab die DGP ihre Akkreditierung zurück (Quelle: DGP GmbH).
Weitere Interessenten haben sich um eine Akkreditierung als Zertifizierungsstelle bemüht – sind aber bislang an den komplexen und formellen Anforderungen der DAkkS gescheitert.
Die Folge: Es existiert keine Stelle, die Ausbildungsstätten gemäß AHundV zertifizieren darf. De facto dürfen somit auch keine neuen Teams rechtskonform ausgebildet werden – selbst wenn Qualität und Fachlichkeit in den bestehenden Einrichtungen vorhanden ist.
Das bedeutet konkret:
- Bereits laufende Ausbildungen können nicht anerkannt werden,
- neue Mensch-Hund-Teams dürfen nicht beginnen,
- und bestehende Ausbildungsstätten sind blockiert, obwohl sie arbeitsfähig wären.
Diese Situation widerspricht dem Ziel der Verordnung, Menschen mit Behinderung rechtssicher und flächendeckend den Zugang zu einem Assistenzhund zu ermöglichen.
4. Keine geregelte Finanzierung – Assistenzhundeteams zahlen drauf
Die Assistenzhundeverordnung erkennt Assistenzhunde offiziell als Hilfsmittel zur Teilhabe an – eine verbindliche Finanzierung der Ausbildung und Haltung ist daraus jedoch nicht automatisch ableitbar. Die Folge: Viele Betroffene (oder ihre Familien) müssen große Teile der Kosten selbst tragen – oft mehrere zehntausend Euro.
Zwar gibt es Einzelfinanzierungen über Stiftungen, Crowdfunding oder spezielle Unterstützungsfonds, doch diese Mittel sind begrenzt und decken in der Regel nicht den gesamten Bedarf. Besonders für Menschen, die Leistungen im Rahmen der Grundsicherung beziehen, ist eine private Finanzierung schlicht nicht möglich.
Hinzu kommt ein strukturelles Problem mit der Kostenerstattung durch die gesetzlichen Krankenkassen:
- Nur Blindenführhunde sind im Hilfsmittelkatalog gelistet und werden daher regelmäßig finanziert mit einem Kostensatz von etwa 40.000 €.
- Die übrigen Assistenzhundarten – z. B. für Menschen mit psychischen Erkrankungen, Epilepsie, Mobilitätseinschränkungen oder Autismus – sind dort nicht aufgeführt.
- Krankenkassen erkennen daher häufig nicht an, dass es sich um gleichgestellte Assistenzhunde gemäß AHundV handelt.
- Teilweise fehlt es schlicht an Wissen über die gesetzliche Grundlage oder es wird pauschal auf die Abgrenzung zu Blindenführhunden verwiesen.
Für Ausbildungsstätten besteht daher keine gesicherte Finanzierung ihrer Arbeit. Prüfungen und qualifizierte Ausbildung kosten Zeit, Fachwissen und Infrastruktur – ohne verlässliche Honorarbasis lohnt sich das Engagement wirtschaftlich nicht. Viele qualifizierte Fachkräfte zögern daher, sich weiterzubilden oder Prüfungen überhaupt anzubieten.
Fazit: Ohne klar geregelte Finanzierungswege für alle Assistenzhundarten bleibt die gesetzlich verankerte Teilhabe für viele unerreichbar – obwohl sie theoretisch garantiert wäre.
Was jetzt passieren muss: Lösungsansätze für eine praxisnahe Umsetzung
Die Assistenzhundeverordnung stellt einen wichtigen Schritt in Richtung Teilhabe und Inklusion dar. Doch um die gesetzlich garantierten Rechte auch in der Praxis umzusetzen, müssen dringend strukturelle und finanzielle Lösungen gefunden werden. Hier sind einige wesentliche Lösungsansätze:
- Schnellstmögliche Schaffung von anerkannten Ausbildungsstätten
Eine flächendeckende Bereitstellung von anerkannten und qualifizierten Ausbildungsstätten muss dringend erfolgen. Der Gesetzgeber sollte konkrete Vorgaben machen, wie diese Stellen schnell und effizient zertifiziert werden können. Dies könnte durch einheitliche Akkreditierungsstellen oder durch die Schaffung einer zentralen Zertifizierungsbehörde geschehen. Die DAkkS muss für den Bereich Assistenzhunde weiterhin eine tragfähige Lösung finden, damit Ausbildungsstätten ihre Ausbildung der Mensch-Assistenzhund-Gemeinschaften sicher anbieten können.
- Rechtliche Klarstellung der Finanzierungswege
Es muss eine bundeseinheitliche Regelung zur Finanzierung der Assistenzhundeausbildung geschaffen werden. Dabei sollte nicht nur die Übernahme der Kosten durch Krankenkassen für alle Assistenzhundarten geregelt werden, sondern auch private Fördermittel und Stiftungen stärker unterstützt und koordiniert werden. Der Hilfsmittelkatalog muss dringend erweitert werden, damit alle Assistenzhundearten die notwendige staatliche Unterstützung erhalten.
- Förderung der Akzeptanz und Sensibilisierung
Es muss eine flächendeckende Sensibilisierungskampagne zu Assistenzhunden und den damit verbundenen Rechten und Pflichten geben. Arbeitgeber, Behörden und die breite Öffentlichkeit sollten intensiver über den Wert und die Bedeutung von Assistenzhunden informiert werden, um Missverständnisse und Diskriminierung zu vermeiden.
- Berücksichtigung der ausweglosen Situation für Mensch-Assistenzhund-Gemeinschaften
Für die Mensch-Assistenzhund-Gemeinschaften ist die Situation momentan besonders schwierig und ausweglos. Betroffene Familien und Assistenzhund-Nutzer:innen stehen in vielen Fällen vor der Herausforderung, die finanziellen Mittel für die Ausbildung, Prüfung und Haltung eines Assistenzhundes zu stemmen – ohne jegliche Unterstützung. Da Krankenkassen die Assistenzhundearten – abgesehen von Blindenführhunden – noch nicht anerkennen, bleibt vielen der Zugang zu einem Assistenzhund verweigert.
Die derzeitige Gesetzeslage führt zu einer Zwangslage für viele, die auf einen Assistenzhund angewiesen sind. Sie sind gezwungen, entweder unzureichende oder gar keine Unterstützung zu erhalten oder sich in eine finanzielle Sackgasse zu bewegen, in der sie sich die Ausbildung und Betreuung ihres Hundes nicht leisten können. Ohne geregelte Fördermöglichkeiten ist diese Situation eine untragbare Belastung für viele Menschen mit Behinderung, die auf die Hilfe von Assistenzhunden angewiesen sind. Auch die Mensch-Assistenzhund-Gemeinschaften sind davon betroffen, da die Organisationen, die Ausbildung und Betreuung anbieten, nicht ausreichend finanzielle Sicherheit haben, um die hohen Kosten zu decken.
Ein weiteres dringendes Problem ist, dass viele Assistenzhunde bereits fertig ausgebildet sind, aber aufgrund der fehlenden Prüfstellen nicht geprüft werden können. Dies führt zu einer ausweglosen Situation, da nur geprüfte Hunde die gesetzlich garantierten Rechte ihrer Besitzer:innen wahrnehmen dürfen. Seit nunmehr über neun Monaten gibt es keine Lösung für dieses Problem, und die Hunde werden immer älter, wodurch die rechtliche Gültigkeit der Hunde als Assistenzhunde weiter in Frage gestellt wird. Die Assistenzhundnehmer:innen können ihre Rechte nicht in Anspruch nehmen, da die notwendigen Prüfungen nicht stattfinden können. Diese Situation belastet nicht nur die betroffenen Menschen, sondern führt auch zu Verunsicherung und Frustration bei der Prüfstelle, die keine offiziellen Prüfungen anbieten kann, sowie bei den Ausbildern der Assistenzhundeschulen.
Fazit: Die Assistenzhundeverordnung kann nur dann erfolgreich umgesetzt werden, wenn praxisorientierte Lösungen zur Finanzierung, Ausbildung und Prüfung von Assistenzhunden zeitnah umgesetzt werden. Der Gesetzgeber, Krankenkassen, Ausbildungsstätten und Fachleute müssen gemeinsam an einem ganzheitlichen Ansatz arbeiten, der allen Beteiligten – insbesondere den betroffenen Menschen – zugutekommt.